Anfrage der FDP Fraktion zum Frauenhaus Emden

   

FDP-Fraktion im Rat der Stadt Emden
Alexander von Glisczynski, Ratsherr
Mitglied im Ausschuss für
Gesundheit, Soziales und Integration

An den Vorstand der Stadt Emden

Emder Frauenhaus

Sehr geehrte Damen und Herren.                                                   

Namens der FDP-Fraktion im Rat der Stadt Emden hätte ich gerne folgende Fragen
beantwortet:

- Seitens des Europarats wird empfohlen, dass Städte und Gemeinden pro 7500
   Einwohner je einen Platz für Frauen (mit Ihren Kindern) als Schutzraum vor häuslicher
   Gewalt bereitstellen sollen. Wie hoch sind die Kapazitäten von Plätzen in
   Frauenhäusern in Emden? Wie ist die Auslastung dieser Plätze? Sind diese Plätze
   ausreichend oder müssen Frauen ggf. mit Kindern abgewiesen werden? Wenn diese
   abgewiesen werden müssen: inwiefern wird diesen Personen dann geholfen?

- In den meisten Städten und Kommunen werden die Adressen der Wohneinheiten
  geheim gehalten. Unserer Meinung nach ist das so natürlich absolut richtig und
  nachvollziehbar. Es besagen offenbar neueste Erkenntnisse, dass ein offener Umgang
  mit diesem Thema die betroffenen Frauen aus der Tabuzone herausholen soll, dass das
  Thema Gewalt gegen Frauen, insbesondere die häusliche Gewalt, so in der Mitte der
  Gesellschaft ankommen soll und auch die Gesellschaft sowie auch die Männer höher
  sensibilisiert werden sollen. Daher gibt es bereits erste Städte (wie z.B. Germering), in
  welchen die Adressen nicht mehr geheim gehalten werden, sondern den
  schutzbedürftigen Personen ausreichend Wohnplätze in einem Haus mit höchster
  Sicherheitsstufe zur Verfügung stehen. Da wir diese neuen Ansätze nur sehr schwer
  einschätzen können: Wie stehen die hiesigen Verantwortlichen zu diesen neuen
  Ansätzen? Gibt es optimalere Möglichkeiten oder Konzepte, um dieses hochsensible
  Thema aus der „Tabuzone“ herauszuholen

- Gibt es seitens der Stadt Ideen, Konzepte oder Ansätze, den Verursachern der
  häuslichen Gewalt in ihrer offenbaren Überforderung der Lebenssituationen neue Wege
  zu eröffnen, um die vorhandenen Konflikte anders als mit Aggressivität und Gewalt
  gegenüber der Familie zu lösen? - Welche Optionen werden männlichen oder diversen Personen seitens der Stadt
  geboten, wenn diese unter häuslicher Gewalt leiden?

- Hat sich die Situation der Frauenhäuser unter den Umständen der Pandemie
  verändert? Wenn ja, wie?

Über eine zeitnahe Beantwortung der Fragen wären wir Ihnen dankbar und verbleiben bis
dahin

mit freundlichen Grüßen
Alexander v. Gliszczynski

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Antwort/Stellungnahme der Verwaltung:

Ihre Anfrage vom 26. Januar 2022
Frauenhaus

Sehr geehrter Herr von Glisczynski!

Unter Bezugnahme auf Ihre Anfrage vom 26. Januar bzgl. des Frauenhauses möchte ich Ihnen –
nach Abstimmung auch mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Emden Frau Fekken -
folgendes mitteilen:

Frage 1) Wie hoch sind die Kapazitäten von Plätzen in Frauenhäusern in Emden? Wie ist die
Auslastung dieser Plätze? Sind diese Plätze ausreichend oder müssen Frauen ggf. mit
Kindern abgewiesen werden? Wenn diese abgewiesen werden müssen: inwiefern wird
diesen Personen dann geholfen?

Das Frauenhaus Emden hat 6 Frauenhausplätze zzgl. 2 Notfallreserveplätze, davon werden 6
Plätze auch über eine Landesrichtlinie gefördert. Da die Zimmergrößen variieren und die
Aufnahmeanfragen (Frauen mit X Kindern, Frauen ohne Kinder) sehr unterschiedlich ausfallen,
kann die Belegung der Zimmer ebenfalls stark variieren. Es kann somit vorkommen, dass Frauen
mit Kindern abgewiesen werden müssen, wenn die Zimmergröße mit der Anzahl der Betten nicht
mehr vorhanden ist. Anschließend wird versucht, abgewiesene Frauen in die umliegenden
Frauenhäuser (Aurich oder Leer) zu vermitteln. Zur besseren Vermittlung wurde in Niederachsen
im September 2019 für alle 42 Frauenhäuser ein tagesaktuelles „Ampelsystem“ verpflichtend
eingeführt. Es zeigt tagesaktuell den Belegungsstatus sowie weitere Informationen zum Angebot
der einzelnen Frauenhäuser an. Damit können FrauenhausmitarbeiterInnen akut Hilfesuchende bei
voller Belegung im eigenen Haus, schneller auf freie Plätze in andere Frauenhäuser vermitteln.
Aktuell ist die Zugangsberechtigung zum Ampelsystem ausschließlich den Frauenhäusern
vorbehalten.
Ergänzend erhalten alle anfragenden Frauen das Angebot die „BISS Beratungs- und
Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt“ in Anspruch zu nehmen, wo Betroffenen
Unterstützung in ambulanter Form angeboten wird.
Die Auslastung der Plätze spiegelt seit März 2020 nicht die tatsächliche Auslastung des Emder
Frauenhauses wider und stellt somit eine nicht repräsentative Auslastungsquote dar. Die
Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen im Frauenhaus Emden waren und sind aufgrund der
Baulichkeit einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Die Abstandsregelung kann im Frauenhaus
Emden nicht umgesetzt werden, da die Räume und Flure nicht über entsprechende Größen
verfügen. Aufgrund des höheren Infektionsrisikos für die Bewohner*innen und Mitarbeiterinnen

wurde die Platzanzahl vorübergehend auf 6 Plätze (insgesamt max. 10 Personen inkl. Kinder)
reduziert.

Frage 2) Es besagen offenbar neueste Erkenntnisse, dass ein offener Umgang mit diesem
Thema die betroffenen Frauen aus der Tabuzone herausholen soll, dass das Thema Gewalt
gegen Frauen, insbesondere die häusliche Gewalt, so in der Mitte der Gesellschaft
ankommen soll und auch die Gesellschaft sowie auch die Männer höher sensibilisiert
werden sollen….Wie stehen die hiesigen Verantwortlichen zu diesen neuen Ansätzen? Gibt
es optimalere Möglichkeiten oder Konzepte, um dieses hochsensible Thema aus der
„Tabuzone“ herauszuholen?

Im Rahmen des im Jahr 2020 unter Bezug auf das Förderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt
gegen Frauen“ beim Bundesministerium für Familie und zivilgesellschaftlichen Aufgaben
gestellten Förderantrages für den Umbau des Frauenhauses wurde die Weiterentwicklung des
früheren Frauenhauses zum heutigen Beratungszentrum bei häuslicher Gewalt u.a. im Konzept
festgehalten. Zu den aktuell wahrgenommenen 4 Säulen zählen neben dem klassischen
Frauenhaus eine Frauenberatungsstelle, die BISS Beratungs- und Kriseninterventionsstelle und
die Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit, die alle konzeptionell miteinander vernetzt sind und
auch räumlich/örtlich zusammengezogen wurden.

Die weitere geplante Entwicklung im Rahmen des Förderantrages sieht nunmehr eine räumliche
Anpassung an die neuen Herausforderungen der Arbeit im Beratungszentrum (Multiproblemlagen,
betroffene Kinder, die psychische und physische Erkrankung von Betroffenen und Opfern,
Zunahme von Frauen mit Migrationshintergrund, Barrierefreiheit) sowie die geplante (Teil-)Öffnung
des Gebäudes für Beratung, Prävention, Fortbildung und Begegnung orientiert an dem
niederländischen Oranje-Huis-Konzeptes vor. Dabei soll trotz (Teil-)Öffnung der Schutz der Frauen
im Wohntrakt der Einrichtung immer erhalten werden. Die strikte räumliche Trennung von dem
Schutzauftrag (anonymes Frauenhaus) und der Beratung wird damit aber aufgehoben. Während
im geschützten Wohntrakt Familien- und Frauenzimmer mit teilweise angegliederten
Kinderzimmern entstehen sollen, sollen im Haupthaus die bestehenden Beratungsangebote, eine
inkludierte Täter- und Paarberatung, aber auch Fortbildungs- und Informationsangebote und
Gesprächskreise für die Öffentlichkeit zugänglich und wahrnehmbar gemacht werden.
Auf diese Weise sollen der Schutz der betroffenen Frauen und Kinder einerseits mit der
Notwendigkeit das Thema Gewalt gegen Frauen eine Öffentlichkeit zu geben, in Einklang gebracht
werden. Durch diese Maßnahmen können weiterhin alle Angebote an einem Ort angeboten und in
der Zukunft in der Öffentlichkeit auch präventiv entstigmatisierend kommuniziert werden. Eine
Unterbringung an einem nicht bekannten Ort außerhalb Emdens bei Hochrisikofällen ist weiterhin
erforderlich.

Um eine weitere Enttabuisierung und Akzeptanz voranzutreiben, ist eine Einbindung in das
Gemeinwesen/ Stadtteil mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit erforderlich.
Die damalige Leiterin des Frauenhauses, eine Mitarbeiterin des Polizeikommissariats Emden und
die Gleichstellungsbeauftragte haben sich bereits in den 2010er Jahren über das Konzept des
Orange Huis in den Niederlanden informiert und wichtige Impulse für die weitere Arbeit und
zukünftige Ausgestaltung der Frauenhausarbeit erhalten, die dann Eingang in die konzeptionelle
Neuausrichtung der Frauenhausarbeit und der oben beschriebenen räumlichen Ausgestaltung
Niederschlag gefunden haben.

Zum Oranje-Huis-Konzept der Niederlande (Auszug aus einem Flyer zum Oranje-Huis):
Ein ‘Oranje Huis’ ist ein Frauenhaus im neuen Stil. Das Neue an diesem Konzept: das Problem
häuslicher Gewalt wird nicht länger an einem geheimen Ort vor der Allgemeinheit versteckt. Ein
Oranje Huis ist gut sichtbar und erkennbar. Es bietet einen Stützpunkt gegen häusliche Gewalt
und eine entsprechende Betreuung - alles unter einem Dach. In einem Oranje Huis erhalten alle
Hilfesuchenden Beratung, Koordination, Hilfeleistungen und Betreuung. Zudem bietet ein Oranje
Huis direkte Hilfe für alle Familienmitglieder. Das Ziel dieser Hilfe liegt nicht unbedingt darin,
Beziehungen zu beenden, sondern Gewalt zu beenden.
Vorteile des Oranje-Huis:

• Sichtbar Hilfe anbieten
• Maßgeschneiderte Hilfe für alle
• Besser vorbereitet auf eine Zukunft ohne Gewalt
• Keine Opferrolle, sondern Stärke

Frage 3) Gibt es seitens der Stadt Ideen, Konzepte oder Ansätze, den Verursachern der
häuslichen Gewalt in ihrer offenbaren Überforderung der Lebenssituationen neue Wege zu
eröffnen, um die vorhandenen Konflikte anders als mit Aggressivität und Gewalt gegenüber
der Familie zu lösen?

Ein wesentliches Angebot des Beratungszentrum bei häuslicher Gewalt stellt die Beratungsarbeit
u.a. die Paarberatung bei häuslicher Gewalt dar.

Ziel ist immer Lösungswege aus der Gewalt zu erarbeiten und u.a. die Gewaltbeziehung in einer
Partnerschaft aufzuarbeiten. Es sollen in gemeinsamen Gesprächen Strategien und Wege
entwickelt werden, um die Gewalt zu verhindern und sich mit neuen Gestaltungsmöglichkeiten in
einer Partnerschaft auseinanderzusetzen. Es werden sowohl Paar- als auch Einzelgespräche mit
dem gewalttätigen Partner geführt. Dies kann dazu führen, dass ggf. Umgangsrechte für Kinder
positiv gestaltet werden können oder dass wieder aufgenommene Beziehungen in der Zukunft
anders verlaufen. Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigen jedoch, dass es für eine
erfolgreiche Arbeit erforderlich ist, ambulante und stationären Angebote zusammenzuführen und
auch das soziale Umfeld einzubeziehen.

Bei Bedarf vermitteln die MitarbeiterInnen der Frauenhauses die Täter zusätzlich an weitere
Beratungsstellen im Umkreis (u.a. Täterberatung Ostfriesland, Jungen-Männerberatung
Ostfriesland (JuMBO) und der Verein JupS Leer e.V. (Jugend- und präventive Sozialarbeit)).

Frage 4) Welche Optionen werden männlichen oder diversen Personen seitens der Stadt
geboten, wenn diese unter häuslicher Gewalt leiden?

In der BISS Beratungs- und Kriseninterventionsstelle richtet sich die Beratung an alle von Gewalt
in einer Partnerschaft betroffenen Personen. So können sich auch männliche und diverse
Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sowie Angehörige, professionelle Dienste etc.
in der „BISS Beratungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt“ beraten lassen.
Transgender-Frauen können bei im Frauenhaus Schutz, Sicherheit sowie Beratung erfahren
(derzeit werden die Gemeinschaftsräume, wie Bad, Küche und Wohnzimmer geteilt – dies wird
den von häuslicher Gewalt Betroffenen bereits bei der Aufnahmeanfrage mitgeteilt).
Eine 2017 bis Ende 2018 durchgeführte gesonderte Förderung der Paar- und Täterberatung
wurden nicht verlängert, da nach Evaluierung des Projektes eine tatsächliche Inanspruchnahme
nur in sehr geringem Umfang erfolgte. Die Tätigkeiten wurden daher in die Leistungsvereinbarung
mit dem Frauenhaus integriert.

Frage 5) Hat sich die Situation der Frauenhäuser unter den Umständen der Pandemie
verändert? Wenn ja, wie?

Valide Studien national und international kommen aktuell zu dem Ergebnis, dass die häusliche
Gewalt in der Pandemie signifikant zugenommen hat. Insbesondere Quarantäne-Maßnahmen
oder finanzielle Sorgen führten zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt in Partnerschaften.
Da gleichzeitig jedoch während des Lockdowns zahlreiche Außenkontakte und Hilfesysteme
(professionelle Dienste) wegfielen, war auch der Zugang zum Hilfesystem Frauenhaus erschwert,
so dass in Emden weniger Aufnahmeanfragen das Frauenhaus erreichten. Hinzu kam, dass im
Frauenhaus mehrfach einen Aufnahmestopp aufgrund von Corona-Verdachtsfällen eingerichtet
werden musste.

Die tatsächliche Dimension dieser Thematik wird jedoch auch weiterhin im Dunkeln bleiben, da
nicht alle Opfer Anzeige erstatten oder Hilfsangebote nutzen.

Ich hoffe, dass Ihre Fragen damit umfassend beantwortet wurde.

Mit freundlichen Grüßen